Archiv für den Tag: 03/11/2022

SIE! MÜSSEN! MEHR! REISEN!

Erinnerungen von Heiko P. Wacker an Jochen Goetze

Vier Worte, eine klare Ansage, Herr Dr. Goetze brachte auf den Punkt, was ihm im Interesse profunder Geschichtswissenschaft als relevantes Rüstzeug erschien.

Es gibt Dutzende Geschichten, die einem so einfallen, erinnert man sich an Seminare oder Exkursionen mit ihm. Eine drängt sich jedoch gerade ganz besonders in den Vordergrund – jetzt, wo ich selbst eine Veranstaltung zur Geschichte Heidelbergs vorbereiten darf.

Dr. Jochen Goetze, Exkursion auf das Heidelberger Schloss im Jahr 2003

Es war Mitte der 1990er-Jahre, und Goetze schweifte mal wieder ein wenig ab in seinem Vortrage, um flux bei seiner geliebten Hanse zu landen. Bald waren nautische Fachbegriffe im Spiel – und leicht glasige Blicke seitens der Studierenden die Folge.

Auf seine Frage, ob wir denn in der Tiefe verstünden, was er so meint: Schweigen.

„Das sagt Ihnen rein gar nix, was ich so erzähle, oder! Ist denn von Ihnen niemand aus dem Norden?“ (Goetze klang schon fast ein wenig kläglich …)

Mutig meldet sich eine Kommilitonin: „Also ich, ich hab mal zwei Semester in Göttingen studiert!“

Für ihn ein Unding: „Göttingen! Regierungsbezirk Neapel“, wütet er, was einen leisen Zwischenton aus der letzten Reihe zur Folge hat: „Aber Lübeck ist ja auch schon fast Südschweden…“

Natürlich – und vollkommen zu Recht – werden wir nun mit einer Tirade überzogen, die ihm sichtlich Spaß zu machen scheint, sein Schmunzeln kann er nämlich nicht unterdrücken, während er uns nahelegt, „den Norden“ persönlich zu besuchen. „Sie müssen mehr reisen!“

Ich fasse mir schließlich ein Herz: „Ja, vielleicht sollten wir mal eine Exkursion nach Lübeck machen?“

„Eine wunderbare Idee, Herr Wacker! SIE organisieren die Zugfahrt!“ (Toll! Ich und meine große Klappe …)

Am Ende fand die Exkursion statt, eine unfassbar spannende Stadtführung mit Jochen Goetze war selbstredend inbegriffen.

Und spätestens hier durfte ich die wohl wichtigste Lektion meines gesamten Studiums lernen: Geschichte darf Spaß machen.

Und das könnte man jetzt auch in Großbuchstaben und mit Ausrufezeichen schreiben …

Dr. Jochen Goetze (1937-2022)

Dr. Jochen Goetze

Wir haben die traurige Nachricht zum Anlass genommen, einen Wikipedia-Eintrag zu Dr. Jochen Goetze anzulegen. Ergänzungen sind dort sehr willkommen. Unser Dank gilt in besonderem Maß der Wikipedia-Nutzerin Nadi2018, die viel Engagement in die Überarbeitung unseres ersten Beitrags investiert hat, und allen anderen, die so schnell für eine Standardisierung des Artikels zu Jochen Goetze gesorgt haben [Versionshistorie].

Der interdisziplinäre Arbeitskreis Historische Geografische Informationssysteme – „The HGIS Club“ feierte 2020 sein 20jähriges Jubiläum. Begründet wurde die Veranstaltung als „Multimedia-Übung: Heidelberg im Späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit“ im Sommersemester 2000. Dozent und Mentor der Veranstaltung war Jochen Goetze, der die Veranstaltung zusammen mit Kilian Schultes anbot, der zuvor im European Media Lab/Villa Bosch gearbeitet hatte. Obwohl kurz vor dem Ruhestand ließ sich Jochen Goetze mit dem ihm eigenen großem Elan auf die neuen Möglichkeiten ein, die die digitalen Medien seinerzeit, v.a. Webseiten, Flash und Quicktime-VR, zur Vermittlung der Stadtgeschichte in der Öffentlichkeit boten. Ein Thema, das ihm seit jeher von großer Wichtigkeit gewesen war. Eine „Quelle“ frühen multimedialen Arbeitens in den Geschichtswissenschaften stellt die Webseite des Forschungsprojekts „Heidelberg in der Frühen Neuzeit (1508‑1803)“ dar, welche Marco Neumaier in Zusammenarbeit mit Jochen Goetze entworfen hatte (http://www.heidelberg-fruehe-neuzeit.uni-hd.de/). Jochen Goetze begeisterte mit einer Mischung aus Anschauung vor Ort durch Exkursionen, Diskussionen um eine zugleich publikumsgerechte und wie auch der Wissenschaft angemessene Aufbereitung der multimedialen Materialien. Nicht nur für das Projekt „intermedia 69“ stellte er eigene Filme und Bilder zu Verfügung. Die Generationen an nachfolgenden Dozenten und Akteure des und rund um den HGIS Club und das Projekt heiMAP haben Jochen Goetze viel mehr zu verdanken als der nüchterne Text auszudrücken vermag: Marco Neumeier, Lukas Loos, Ivan Sablin, Dirk Eller, Armin Volkmann, Kilian Schultes.